Teil 1 der BLOGSERIE:
„Vom Verlag zum E-Publisher – wie Redaktionen und Lektorate die digitale Transformation erfolgreich meistern.“
Lesedauer: 7 Min.
Lesen Sie hier die anderen Beiträge dieser Blogserie:
- Teil 2 „Content-Töpferei: Wie Sie Ihre Inhalte beherrschen und formen“
- Teil 3 „Achtung, Gutenberg-Falle! Wie Sie Autoren im E-Publishing führen“
- Teil 4 „Spitz geklammert – wie Sie Ihren Inhalten mit XML künstliche Intelligenz verleihen“
- Teil 5 „Auf Knopfdruck – wie Sie im E-Publishing den Workflow in Schwung bringen“
- Teil 6 „Such-Potenzial – Wie Sie im E-Publishing Inhalte auffindbar machen“
- Teil 7 „Tür auf, Tür zu – wie Sie im E-Publishing den Zugang zu Ihren Inhalten verwalten“
Wann stirbt denn jetzt das Buch? Trends im Publishing richtig deuten
Publisher kennen das: Neuerungen kommen in der Regel durch technische Entwicklungen befeuert daher. Meist als Hype verbreitet, überheizt und überreizt, wird bei den Verlagshäusern die Angst des Zuspätkommens geschürt. Und stets begleitet von einem Abgesang auf das Printmedium. Lässt man sich blind vom Hype mitreißen, geht das mit dem Risiko beträchtlicher Geldverbrennung einher.
So war es schon Ende der 80er im vorigen Jahrhundert, als Verleger glaubten, für schweres Geld „Datenbanken“ einkaufen zu sollen. Als sie dann schmerzlich feststellen mussten, dass sie damit leere Werkzeuge ohne Inhalte besaßen und dass es für Fachanwendungen unter DOS und Windows noch keinen Markt gab, rieben sie sich verwundert die Augen. Die nächsten gehypten Trends ließen nicht lange auf sich warten: Alle Inhalte sollten auf CD-ROM verfügbar sein, dann im Web, als E-Book und natürlich mobil als App.
Bis heute rennen Fachverlage diesen Anforderungen hinterher, die einen mit hängender Zunge, andere machen im Extremfall aus Angst vor Verlusten gar nichts. Beides ist falsch. Denn elektronisches Publizieren ist mehr als ein Trend, auf den Verlage nur reagieren müssten. Sie müssen es vielmehr als zwingenden und selbstverständlichen Bestandteil ihrer verlegerischen Tätigkeit begreifen. Doch um es wirklich gewinnbringend zu tun, ist ein gutes Verständnis des eigenen Hauses, der Möglichkeiten von E-Publishing und der zu publizierenden Inhalte von Nöten.
Was ist überhaupt „E-Publishing“?
Wir stellen fest, dass es in Fachverlagen, Lektoraten, Redaktionen, bei Produktmanagern wie in der Autorenschaft ein höchst unterschiedliches Verständnis darüber gibt, was unter elektronischem Publizieren zu verstehen und wie es handzuhaben sei. Oft gibt es nur die diffuse Aussage: „Da muss was Elektronisches (dazu) gemacht werden“. In jüngerer Vergangenheit gerne auch in der Variante: „Da muss ´ne App her“. Die einen sehen das Thema besetzt, indem sie alle Werke auch als E-Book produzieren, einige eventuell sogar ausschließlich. Oder indem sie z.B. aus den Druck-PDFs blätterbare E-Journals erzeugen. Überhaupt ist ja ein PDF auch schon „elektronisch“.
Andere favorisieren Onlineportale, in denen Content parallel zum Print oder sogar nur online vermarktet wird. So etwas gibt es als fachgebundene Themenportale, als Gesamtportal eines Verlages oder verlagsübergreifende Portalverbünde. Teilweise werden einfach alle Verlagsinhalte samt und sonders medienneutral unter XML aufbereitet und vorgehalten. Für den Fall, dass man sie in einer Onlinevermarktung irgendwann brauchen könnte.
Häufig gibt es in den Verlagen auch von allem etwas. Was nicht falsch sein muss, solange bewusst getroffene Entscheidungen und mehrspurig geplante Strategien dahinterstehen. Denn genau das ist es, was erfolgreiche E-Publisher von weniger erfolgreichen unterscheidet: Strategie und Differenzierung.
Erfolgreiches E-Publishing durch Strategie und Differenzierung
Elektronisches Publizieren mündet in Produkte. Wir dürfen deren Form nicht personellen Zuständigkeiten, Vorlieben, eingefahrenen Bahnen oder gar Einflüssen wie dem Zufall überlassen. Ebenso wenig können wir alle Inhalte über einen technischen Kamm scheren. Pauschalentscheidungen für eine generelle Digitalisierung aller Verlagsinhalte sind Unsinn. Alles in eine Schublade zu packen ist Unsinn. XML-Vorratshaltung ohne zeitnahe Verwertungsperspektive ist Unsinn. Ich habe aufgrund solcher Entscheidungen viele Millionen verrauchen und große Verlagshäuser ins Wanken kommen sehen.
Fakt ist, dass es Inhalte gibt, die sich für elektronisches Publizieren in bestimmter Form eignen, und solche, die dafür nicht oder weniger geeignet sind. Das Wissen um diese Differenzierung und die Kriterien dazu sind indes etwas, was bis heute in Lektoraten und Redaktionen kein Allgemeingut ist. Und noch schlimmer: Etwas, das im Zuge personeller Wechsel auch immer wieder verloren geht.
Um Ihnen eine Hilfestellung zu geben, welche Content-Typen es gibt und inwiefern sie sich für das elektronische Publizieren eignen, habe ich Ihnen im Folgenden eine Übersicht zusammengestellt. Es empfiehlt sich außerdem, in Lektorat und Redaktion eine auf Ihr Programm zugeschnittene, eigene Content-Typologie zu schaffen, nach der neu hereinkommende oder zu überarbeitende Inhalte auf ihre Eignung zu elektronischer Verwertung abgeprüft werden.
1x-Durchlese-Content
ungeeignet
Wenn Sie ein Manuskript für ein gebundenes Buch von z.B. 150 geschätzten Druckseiten vor sich haben, dessen Sinn und Zweck es ist, vom Benutzer zur Wissensaneignung ein einziges Mal von Seite 1 bis 150 durchgelesen und dann nie wieder in die Hand genommen zu werden, dann ist es für eine elektronische Umsetzung ungeeignet.
Vielleicht noch als E-Book, aber auch das hängt von Thema und Zielgruppe ab. Hier ist Print die prädestinierte Medienform. Kommt hinzu, dass auch die an sich kostengünstige Umsetzung als E-Book in allen Datenformaten die Kalkulation eines Fachbuchs in niedriger Auflage über Gebühr belasten kann.
Schlecht strukturierter Content
ungeeignet
Lange Kapitel, ewige Textriemen, flache Gliederung – eher Finger weg von einer elektronischen Umsetzung!
Für Bildschirm und Tablet geeignet sind kurze und gut strukturierte Inhalte, möglichst in kleinen Informationseinheiten adressierbar, z.B. durch Randnummern.
Wobei man einen Inhalt auch „zergliedern“ kann: Hat der Autor sein Werk bis in die 6. und 7. Gliederungsebene aufgedröselt, wird sich der Anwender in einer elektronischen Umsetzung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr zurechtfinden. Nur am Rande angemerkt: Im gedruckten Buch im Zweifel auch nicht.
Recherche-Content
geeignet
Die Recherchefunktionen elektronischer Fachanwendungen bringen es mit sich, dass Inhalte umso mehr für eine Umsetzung in dieser Anwendung geeignet sind, je mehr sie diese Funktionen unterstützen.
Wenn also der Inhalt gerade nicht dazu dient, in längeren Passagen durchgelesen zu werden, sondern der Anwender situations-, sachverhalts- oder verfahrensbezogen auf Teilinformationen zugreifen soll, spricht dies vehement für die elektronische Umsetzung.
Content mit Aktualisierungsbedarf
Umso mehr geeignet, je höher der Aktualisierungsbedarf ist. Die Akzeptanz einer elektronischen Fachanwendung ist umso größer, als eine dahinterstehende, softwaretechnische Publikationsplattform die aktuellen Veränderungen im Inhalt deutlich machen kann, Unterschiede z.B. durch Versionierung aufzeigt und den Nutzer durch Push-Funktionen und generierte Newsletter unterrichtet.
Inhalte von nur temporär hoher Aktualität sind für die elektronische Publikation ebenso geeignet. Sie müssen in einer Fachanwendung jedoch regelmäßig beobachtet und ggf. wieder entnommen werden, wenn sie Staub ansetzen.
Content mit
hoher Verweisdichte
a) Allgemein
geeignet
Achtung:
abnehmende Eignung
Das Verweissystem in einem Inhalt verlangt besonders sorgfältige Analyse, die externe wie interne Verweise betrachtet. Generell kann man sagen, dass ein Inhalt für eine elektronische Publikation umso geeigneter ist, je mehr sich die Verweise in Verlinkungen auflösen lassen.
Je printlastiger und „chaotischer“ das Verweissystem eines Inhalts aufgebaut ist, desto geringer ist seine Eignung für die elektronische Umsetzung. Beispiele:
- Ausufernder Fußnotenapparat jeweils am Ende einer Druckseite, längere Textpassagen oder gar „Unterkapitel“ als Fußnoten.
- Verweise auf Seiten im Printwerk.
- Mehrheitliche Zitate von Sekundärfundstellen, die für die Anwendung nicht zur Verfügung stehen.
b) externe Verweise
Hier muss geprüft werden, ob Zitierweisen einheitlich und zielführend sind, und sie die Adressierbarkeit externer Inhalte durch automatisches Verlinken zulassen. Ebenso ist zu hinterfragen, ob externes Material (z.B. Zeitschriftenaufsätze) datentechnisch und verwertungsrechtlich überhaupt zur Verfügung steht.
c) interne Verweise
Diese müssen eine direkte Adressierbarkeit des Verweisziels aufweisen, beispielsweise auf eine eindeutige Randnummer im Werk.
Es gibt Verlage, die allen ihren Dokumenten inhalts- und werkübergreifend eindeutige IDs vergeben – ideale Voraussetzung für ein ebenso übergreifendes Linksystem in einer Portalanwendung.
Baustein-Content
bedingt geeignet
Immer wieder begegnen Ihnen Texte, die in einer elektronischen Umsetzung eigentlich danach rufen, in Abhängigkeit von steuernden Eingaben als Textbausteine variabel zusammengesetzt zu werden.
Solche Bausteingeneratoren sind außerordentlich komplex, damit teuer und meist für den Anwender in der Handhabung nicht transparent, weshalb ihm das Ergebnis oft nicht vertrauenswürdig erscheint: Er bekommt z.B. einen Vertragstext oder ein Arbeitszeugnis, von dem er nicht weiß, nach welcher Logik die Maschine das Ergebnis zusammengebaut hat.
In der Regel ist es daher einfacher, von einer „echten“ elektronischen Umsetzung solcher Texte abzusehen und sie einfach als Worddatei auszuliefern oder downloadbar zu machen.
Formular-Content
bedingt geeignet
Hier muss man dem Inhalt auf den Grund gehen: Ist es ein echtes Formular, das in Abhängigkeit von Eingaben (Textauswahl, Ankreuzen) im Hintergrund Logik entfaltet, rechnet, Eingaben z.B. an anderer Stelle übernehmen soll und einen Vorgang mit Stammdaten verwaltet, oder handelt es sich um flachen Text, z.B. in der Art einer ankreuzbaren Checkliste?
Im ersten Fall ist es besser, den Inhalt mit einer darauf spezialisierten Formular-Entwicklungsplattform umzusetzen und das Ergebnis ggf. als eigenes Produkt in einen größeren Portalkontext einzubinden.
Im zweiten Fall hilft, wie bei den Bausteinen, simples Word.